Eine Auswanderung mit Hindernissen - Meine Auswanderung Teil 2
(Meine Auswanderung: Teil 2 | Teil 1 findet ihr hier)
Ein Jahr der Vorbereitung
Zurück in Berlin begann ich mit der Recherche. Wie wandert man eigentlich nach Schweden aus? Was brauche ich dafür, und worauf muss ich achten? Ich stöberte im Internet nach Informationen, las Bücher von anderen Auswanderern und lernte die Sprache.
Einige Monate später war ich wieder in meinem Sehnsuchtsland – dieses Mal mit dem Auto und einer großen Portion Vorfreude im Gepäck. Fast einen Monat dauerte mein Solo-Roadtrip durch Schweden. Ich wollte so viel wie möglich vom Land sehen und war überall und nirgendwo zwischen Malmö und Lycksele unterwegs. Meistens verbrachte ich die Nächte ich meinem kleinen, grünen Zelt mitten in der Natur. Jeden Tag badete ich in klaren Seen, pflückte leckere Blaubeeren in den tiefsten Wäldern und hatte sogar eine ganz besondere Begegnung mit einem Elch. Ich genoss die endlosen Sommertage, feierte Midsommar am Meer und aß (zugegebenermaßen) beunruhigende Mengen an “Mazarinern” (Gebäck aus Mürbeteig und Marzipan).
Waldbaden
Schwedische Wildblumen
Midsommar 2019
All das ließ mich so unglaublich lebendig und frei fühlen, und ich wusste, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Schweden war das richtige Land für mich.
Übrigens hatte ich in diesem Sommer auch David getroffen, meinen jetzigen Verlobten. Aber das ist eine Geschichte für einen anderen Tag.
Hier seht ihr einige Fotos meines Solo-Roadtrips im Sommer 2019:
März 2020 - Eine Auswanderung mit Hindernissen
Der 1. April 2020 war mein Stichtag, auf den ich ein ganzes Jahr hingefiebert hatte. Anfang April wollte ich in Stockholm leben. Eigentlich. Denn dann kam alles ganz anders. Was genau Anfang 2020 auf der Welt passierte, muss ich wohl nicht weiter ausführen. Dass eine weltweite Pandemie eine Auswanderung etwas schwieriger gestaltet als gedacht, vermutlich auch nicht. Ich hatte bereits alles gekündigt: meine Wohnung, meinen Job, meine Versicherungen, meine Gym-Mitgliedschaft – alles. Ich hatte mit meinem Leben in Deutschland abgeschlossen, und mein gesamtes Hab und Gut hatte sich bereits Wochen vor meinem Stichtag auf einen Stapel Umzugskisten und Krimskrams reduziert.
Als dann täglich neue Eilmeldungen von weiteren Ländern, die die Grenzen schließen würden, auf meinem Handy auftauchten, wurde mir, gelinde gesagt, mulmig zumute. Das war im März 2020.
Meine damalige Chefin ließ mich netterweise früher gehen. Eigentlich hätte ich zu diesem Zeitpunkt noch zwei weitere Wochen arbeiten müssen, aber auch sie hatte Bedenken, dass ich es rechtzeitig vor einer etwaigen Schließung der schwedischen Grenze schaffen würde.
Heute wissen wir, dass Schweden die Grenze nie geschlossen hat. Damals fühlte es sich allerdings so an, als würde meine Auswanderung von Stunde zu Stunde unwahrscheinlicher werden.
David hat damals diese Karte erstellt und die Grenzschließungen dokumentiert.
Es wird Ernst
14. März 2020: Noch drei Tage, bis mich die Autofähre von Rostock nach Trelleborg bringen würde. Ich arbeitete auf Hochtouren, um das "Grand Finale" meiner Auswanderung vorzubereiten. Ein Keller musste noch ausgeräumt, Möbel entsorgt und ein Auto beladen werden.
17. März 2020: Mein Wecker klingelte um 2 Uhr morgens, aber ich hatte eh nicht geschlafen. Wie auch? Zu groß war die Aufregung vor diesem Tag und ebenso groß die Angst davor, dass mein Traum in letzter Sekunde platzen könnte. Ich duschte, putzte mir die Zähne und zog mich an. Dann ging ich eine letzte Runde in meiner 1-Zimmer-Wohnung in Berlin-Pankow, um sicherzustellen, dass ich nichts vergessen hatte. Wie schön, dass meine Freundin diese Wohnung übernehmen würde, dachte ich mir. Schließlich hatte ich über die Jahre sehr viel Liebe in mein kleines, aber feines Zuhause gesteckt.
Schwungvoll warf ich mir meinen grünen Fjällräven Kånken Rucksack auf den Rücken, legte die Schlüssel auf den Küchentisch und ging ein letztes Mal durch meine Wohnungstür und zog sie, fast schon theatralisch, hinter mir zu. Als ich im Treppenhaus stand, hielt ich kurz inne - “Landschoof”. Mein Name zierte noch immer die Klingel, links neben der Tür. Ich erinnerte mich, wie der nette DHL-Bote im Jahr meines Einzugs ein klitzekleines Schildchen mit meinem Namen an der Klingel befestigte. Er hatte zuvor einen Sticker ausgedruckt und diesen mit der Schere seines Schweizer Taschenmessers zurechtgeschnitten.
Jetzt stand ich dort im Treppenhaus und musste eigentlich zum Auto runter, aber ich nahm mir die Zeit, um das Schild mit meinem Daumennagel abzukratzen. Es ging ganz leicht.
Eine Schifffahrt entfernt von einem neuen Leben
Nach einer abenteuerlichen Autofahrt (das Straßenverkehrsamt hielt es für eine gute Idee, genau am Morgen meiner Auswanderung Brückenarbeiten vorzunehmen) kam ich gegen 6 Uhr am Rostocker Hafen an.
Ein Schiff der “Stena Line” im Rostocker Hafen
Mein Herz rutschte mir kurz in die Hose, als ich mehrere Polizisten inmitten der Kolonne von Autos sah, die sich zum Einchecken am Fähr-Terminal eingereiht hatten. Anscheinend überprüften sie stichprobenartig einige der Reisenden, und ich betete, dass sie mich auslassen würden. Mein Auto war bis oben hin rappelvoll mit allem, was sich in 26 Jahren Leben so angesammelt hatte, und ich hineinquetschen konnte. Kurz darauf musterte mich einer der Polizisten durch die Frontscheibe meines silbernen Tourans, ließ den Blick dann aber wieder von mir ab und ging zum nächsten Auto.
Alles ruckelte, als ich die Stahlrampe zum Autodeck hinauffuhr. Besonders die kleine weiße Stehlampe von IKEA machte besorgniserregende Geräusche im hinteren Teil des Kofferraums.
Nachdem ich für einen kurzen Moment den Ausblick und die frische Ostseeluft vom Sonnendeck aus genossen hatte, machte ich mich auf den Weg zu den Schlafkojen. Mein Bett schrie förmlich nach mir - schließlich war ich zu diesem Zeitpunkt sicherlich schon 24 Stunden wach (die 18,5 Minuten leichten Schlaf in der vorangegangenen Nacht nicht eingerechnet).
Nachdem ich die Vibrationen der kräftigen Dieselmotoren spürte, die uns langsam aber sicher gen Norden befördern würden, war ich beruhigt und schlief ein. In wenigen Stunden würde ich in Schweden sein…
Im dritten Teil meiner Auswanderungsgeschichte erfahrt ihr, wie es weiterging, als ich das Schiff in Trelleborg wieder verließ.